ABSOLUTE STILLE: REFLEXIONSARMER RAUM
Das erstmalige Betreten unseres reflexionsarmen Raums, umgangssprachlich auch schalltoter Raum genannt, ist für die meisten Augen und Ohren wahrscheinlich eine völlig neue Erfahrung. Zum einen ist der Untergrund des Raums kein gewöhnlicher Bodenbelag, sondern ein begehbares Netz – wenn man sich umsieht, blickt man auf zahlreiche Absorberkeile, die an der Decke, den Seitenwänden und unter dem Netz auf dem Boden angebracht sind. Auf der anderen Seite ist es diese absolute Stille, die einen in diesem Raum umgibt. Das ist sicherlich ein spezielles Erlebnis, das zudem einen guten Gleichgewichtssinn erfordert.
Um Mikrofone und bestimmte Eigenschaften von Kopfhörern korrekt testen zu können, müssen Nebengeräusche sowie Reflexionen – also von Wänden zurückgeworfener/reflektierter Schall – verhindert werden. Das kleinste Geräusch würde das Testergebnis der Eigenrauschmessung von Mikrofonen stören und somit verfälschen, die Reflexionen würden die Frequenzgangmessung negativ beeinflussen.
Hersteller von Audiotechnologien greifen in so einem Fall auf einen reflexionsarmen Raum zurück. Die Bestätigung des optimalen Klangs unserer Produkte ist daher für unsere Entwickler:innen nur in einem solch speziellen Messraum möglich.
INHALTSVERZEICHNIS
Konstruktion und Bau des schalltoten Raums
Wie wird ein Raum konstruiert und gebaut, in dem es absolut still sein muss? Ein Raum, der Geräusche weder ein- noch hinausdringen lässt?
Unser reflexionsarmer Raum wurde bereits Anfang der 1980er Jahre gebaut und ist auch noch gut 40 Jahre später fester Bestandteil unserer Produktentwicklungen. Die Anforderungen an solch einen besonderen Messraum sind vielfältig, da unsere Entwicklungsabteilung dort diverse Messungen an unterschiedlichen Produkten genauestens durchführen muss. Optimaler Klang ist unser Bestreben – und diesen Klang zu verifizieren, gelingt nur in einer schallisolierten, reflexionsarmen Umgebung.
Um diese laborähnlichen Bedingungen zu erreichen, mussten viele Ansprüche und Forderungen erfüllt werden. Allen voran eine einwandfreie Isolierung gegen Störgeräusche, aber auch das Erreichen einer möglichst niedrigen Grenzfrequenz.
So wurde der Raum vom Hauptgebäude abgetrennt und in einem eigens dafür geschaffenen Anbau untergebracht. Dadurch konnte man offensichtliche Störungen durch Maschinengeräusche aus den nahegelegenen Fertigungsräumen oder durch Verkehrslärm ausschließen. Tieffrequente Töne, die durch die Tore einer nahegelegenen Neckar-Schleuse entstehen, mussten bei der Planung ebenfalls berücksichtigt werden.
Der reflexionsarme Raum ist durch einen Übergang mit dem ebenerdig liegenden Untergeschoß des Firmengebäudes verbunden. Dieser Übergangsbereich wird gleichzeitig als Arbeitsbereich für die benötigten Messgeräte genutzt. Ungefähr ein Drittel des eigentlichen Messraums liegt unterirdisch.
So musste im ersten Schritt eine Wanne in der Ausschachtung errichtet werden, in die der eigentliche Messraum vergossen wurde. Im zweiten Schritt wurde der fertige Rohbau mit hydraulischen Pressen angehoben und auf 24 Federbalken gesetzt. Die in diesem „schwebenden“ Raum verbauten Mafund-Massivplatten, die unterhalb der Federbalken eingesetzt wurden, dienen der Körperschallisolierung.
Die Akustik
Um den Raum reflexionsarm zu machen, wurde er mit akustischen Absorberkeilen ausgestattet. Diese sind an den Seitenwänden, am Boden und der Decke angebracht. Die Keile ragen bis zu einem Meter in den Raum hinein, sind mit einem mineralwollähnlichen Material gefüllt und mit Stoff überzogen.
So wird der Schall im Messraum absorbiert, wodurch kein Widerhall mehr zwischen Wand oder Decke existiert. Alles Gesprochene innerhalb des Raums nimmt somit den direkten Weg zum Ohr.
Die einzige Verbindung zum Hauptgebäude ist die ein Meter breite und zwei Meter hohe Tür zum Übergang, deren Innenseite ebenfalls mit akustischen Keilen verkleidet ist. Der drei Zentimeter breite Spalt, der dabei zum Übergang entstanden ist, wurde mit einer dauerelastischen Masse abgedichtet, sodass keine starre Verbindung zum Hauptgebäude besteht.
Diese Konstruktion des Messraums schafft eine Umgebung, die keinerlei Geräusch in den Raum oder nach außen dringen lässt. Die perfekte Umgebung also, um Mikrofone oder Kopfhörer zu testen.
Nutzbare Fläche
Die Grundfläche des reflexionsarmen Raums beträgt ungefähr sieben auf sieben Meter, mit einer Höhe von ebenfalls sieben Metern. Die Bauweise des Raumes und dessen Innenausstattung reduzieren die tatsächlich nutzbare Fläche auf etwa 25 Quadratmeter.
Eine weitere wichtige Anforderung an den schalltoten Raum war, dass er begehbar ist. Dank eines speziell angefertigten Netzes aus verzinkter Stahllitze mit einer Maschenweite von etwa sechs Zentimetern werden Störungen des Schallfeldes im höheren Frequenzbereich verhindert.
Das begehbare Netz befindet sich ungefähr zwei Meter über dem Betonboden des Messraums und somit auf gleicher Höhe wie der Übergang zum Hauptgebäude.
Dieses Gitternetz lässt jeglichen Schall bis zum Boden durch, wo dieser dann absorbiert werden kann. Ein zusätzlich eingezogenes Fangnetz aus einem akustisch transparenten Kunststoffgewebe mit einer Maschenweite von ungefähr vier Millimetern sorgt dafür, dass etwaige herabfallende Gegenstände aufgefangen werden.
Geräuschlose Lüftung
Auch ein reflexionsarmer Raum benötigt eine Lüftung. In einem Raum, in dem Geräuschlosigkeit an oberster Stelle steht, stellt das Lüftungssystem während des Baus eine besondere Herausforderung dar, doch auch diese wurde erfolgreich gemeistert. Die Luftzufuhr der fast geräuschlosen Lüftung verläuft durch die Tür, während speziell schallgedämmte Düsen die Abluft aus dem Rauminneren absaugen und über das Dach nach außen leiten.
Die Messtechnik
Der relativ große Raum –einer der größten in unserer Branche – ermöglicht sehr genaue Messungen. Je größer der Abstand zur Wand, desto genauer werden die durchgeführten Messungen. Die Größe des Raums ermöglicht es zudem, dass bei einfachen Kontrollmessungen unsere Entwicklungsingenieur:innen die Tür zum reflexionsarmen Raum sogar offenstehen lassen können, da die Messecke in einem toten Winkel verbaut wurde.
Messungen in der Praxis
Doch wie läuft eine Messung von Mikrofonen nun eigentlich in der Praxis ab? Nicht nur ein Referenzmikrofon, das als Vergleichsmikrofon herangezogen wird, sondern beispielsweise auch der Messabstand spielen hier eine entscheidende Rolle. Doch alles der Reihe nach:
Der Frequenzgang des zu prüfenden Mikrofons (englisch: Device-under-Test, kurz: DUT) wird im Vergleich zu einem hochwertigen Referenzmikrofon mit bekanntem Frequenzgang gemessen. Hierzu müssen die beiden Mikrofone entweder am selben Ort und nacheinander, oder aber sehr nah zusammen und gleichzeitig gemessen werden.
Der Frequenzgang von unidirektionalen Mikrofonen ist entfernungsabhängig (Nahbesprechungseffekt), deshalb wird eine Standardentfernung von einem Meter als Abstand zum Lautsprecher gewählt.
Als Prüfsignal verwenden wir ein spezielles Rauschsignal, das in mehreren Schritten einen weiten Frequenzbereich abdeckt (standardmäßig 50Hz bis 20kHz). Zur Überprüfung der Richtwirkung eines Mikrofons kann dieses ebenfalls aus verschiedenen Richtungen gemessen werden – hier ist die automatisierte Drehvorrichtung, an der die DUT montiert werden, ein großer Vorteil. Für die Endprüfung von Mikrofonen kann dieser Drehteller von einem Prüfprogramm automatisiert gesteuert werden.
Zusammen mit den eingepflegten Grenzwerten für jeden Mikrofontyp können viele Messwerte automatisch ausgewertet und diese mithilfe eines einfachen farblichen Lichtkreises als „Gut“ oder „Schlecht“ befunden werden. Bei hochpreisigen Mikrofonen wird zusätzlich der individuelle Frequenzgangmessschrieb erstellt, der dem Mikrofon beigelegt wird.
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