Critical Listening: Kopfhörertesten kurz erklärt

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CRITICAL LISTENING: KOPFHÖRERTESTEN KURZ ERKLÄRT

Hören ist nicht gleich hören. Denn im Gehörten verstecken sich durchaus unterschiedliche Merkmale. Diese erlauben dem Zuhörer entweder Vergleiche zu ziehen zwischen Kopfhörern oder Musikstücken, sie vermitteln aber auch eine emotionale Komponente. Spricht uns die Musik an, fesselt uns der erzeugte Klang? Mit diesen Merkmalen beschäftigen sich Audioexpert:innen und professionelle Produkttester:innen.

INHALTSVERZEICHNIS

Was ist Critical Listening?

Salopp ausgedrückt ließe sich Critical Listening als das Gegenteil des beiläufigen, nebenher Hörens definieren. Im Alltag berieselt uns Musik oftmals unbewusst: im Fahrstuhl oder beim Einkauf im Supermarkt. Wir nehmen die Musik zwar als Hintergrundgeräusch wahr, aber hören doch meist nicht wirklich zu. Und genau hier setzt Critical Listening an, in der bewussten Auseinandersetzung, Konzentration und Wahrnehmung des Gehörten.

Grundsätzlich kann man Critical Listening allerdings aus unterschiedlichen Perspektiven betrachten. 

  1. die technische Sicht auf ein Musikstück: Dabei wird der Mix durch den oder die Hörer:in in seine Einzelteile zerlegt, um zum Beispiel Brummen, Rauschen oder klangliche Extreme zu entdecken. Entdecke dazu auch unsere Reihe zu Mixing, Mastering und Monitoring.
  2. die Beurteilung eines Kopfhörers: Auch hierbei wird ein Musikstück in seine Einzelteile zerlegt. Allerdings ist dabei dir Frage inwieweit verändert oder beeinträchtigt der Kopfhörer sogar das Stück?

Wir konzentrieren uns in diesem Beitrag erstmal auf die zweite Perspektive und haben dazu auch mit dem professionellen Audioprodukttester und Texter Fritz Schwertfeger gesprochen. Hier geht es gleich zum Interview >

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Critical Listening – Ein kurzes How-To

Die wichtigsten Fragen fürs Critical Listening zur Beurteilung von Kopfhörern sind:

  • Klingt das Gehörte genauso, wie man es aus der Realität kennt?
  • Gibt es unnatürliche Signalanteile, die als störend empfunden werden?
  • Lassen sich Datenreduktionen oder die hohe Qualität von High-Res Stücken heraushören?
  • Transportiert der Kopfhörer die Emotionen eines Musikstücks?
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Grundvoraussetzung für den Vergleich von Kopfhörern sind natürlich Referenzen. Außerdem wird immer die identische Lautstärke des sog. Quellmaterials (zum Beispiel eines oder mehrerer Musikstücke) geprüft.

Einzelne Frequenzbänder werden versucht zu erfassen. Stehen diese harmonisch zueinander oder werden sie als neutral empfunden? Sind partielle Überbetonungen hörbar und werden diese als störend empfunden? Sind Höhen, Mitten und Tiefen harmonisch gewichtet?
Notizen darüber können helfen den Überblick zu behalten.
Schwieriger für Laien wird es bei beim Versuch einzelne Instrumente aus einem Mix herauszuhören und ihre Position im Raum zu bestimmen. Auch hier kann es helfen Notizen zu machen, wenn der Überblick droht verloren zu gehen. 

Welche Musikrichtung empfiehlt sich zum Testen?

Die Auswahl der Musik gibt Hörer:innen unterschiedliche Möglichkeiten.
Mit klassischer Musik oder Jazz lassen sich die räumlichen Gegebenheiten von Kopfhörern sehr gut ausloten. Wird die Klangbühne als tief und breit wahrgenommen oder bleibt man sozusagen vor der Bühne stehen? Wo finden sich die Instrumente oder tonalen Ereignisse wieder und welche Ausdruckskraft erhält ein einzelnes Instrument?

Elektronische Musik kann sich sehr tief und sehr hoch über die Frequenzbänder erstrecken. Dadurch lässt sich die Quantität der unteren und oberen Oktaven gut vergleichen, aber auch die Frage, ob ein Hörer langzeittauglich ist, kann durch elektronische Musik evaluiert werden. Denn sehr dominante Höhenanteile werden von vielen Menschen als strapazierend für das Gehör empfunden. Ermüdet unser Gehör und damit auch der Hörgenuss mit dem einen Kopfhörer schneller als mit dem anderen, eignet sich der eine vielleicht weniger für die Langzeitanwendung.

Reduzierte Singer-Songwriter-Stücke erlauben die Einordnung des Mittenbands. Entfalten Stimmen ihre natürliche Klangfarbe oder klingen sie unnatürlich, zu kühl, harsch oder dünn und eingeengt? Auch Gitarren- und Klavierstücke erlauben Aussagen hinsichtlich des Mittenbands.

Zur Einschätzung des tonalen Gesamtbilds und des Timing eignen sich am besten Pop-Musik oder Heavy-Metal. Gelingt dem Kopfhörer eine authentische Separierung oder lassen überdominante Bässe alles schwerfällig und langweilig klingen?

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Alles nur Geschmackssache oder kann Critical Listening auch erlernt werden?

Nein, das Testen von Kopfhörern ist nicht nur Geschmackssache der jeweils testenden Person. Allerdings kann man auch nicht verleugnen, dass der Critical Listener stets danach strebt den Hörer zu finden, der seinem persönlichen Klangideal am nächsten kommt. Dennoch sind die Tests und Reviews als objektiv zu begreifen, denn auch natürliche Klänge lassen sich durch die wiederholte Wahrnehmung katalogisieren und sorgen dadurch für eine authentische Vergleichbarkeit. 

Wir sind überzeugt: Critical Listening kann erlernt werden. Es erfordert Konzentration und den kritischen Blick auf klangliche Zusammenhänge, die sich letztlich tonal, technisch und musikalisch definieren lassen. Profis schärfen jahrelang ihre Fähigkeiten und ergänzen diese um das Wissen, wie Instrumente im Mix besser zur Geltung kommen. Im Endeffekt ist es eine Frage des persönlichen Interesses und der Bereitschaft sich mit dem Gehörten intensiv auseinander setzen zu wollen.

Im Interview: Fritz Schwertfeger – Audioprodukttester

Kopfhörer oder Stereoanlage?

Fritz: beides (lacht)

Konzert oder Theater?

Fritz: Konzert

Laute oder leise Musik?

Fritz: Leise Musik

Kaffee oder Whisky?

Fritz: Kaffee

beyerdynamic: Fritz, wir wollen dich zuerst noch ein bisschen besser kennenlernen. Wer bist du und was machst du?

Fritz: In der Eigenwahrnehmung ein eigentlich gelegentlich ganz passabler Autor, in der realen Fremdwahrnehmung meines Chefredakteurs ein immer ständig wiederkehrender, beratungsresistenter Alptraum. Wenn ich nicht für fairaudio.de schreibe, dann müssen die Lektoren von HiFi-Ifas und Hifi.de daran glauben. Ansonsten schreibe ich auch für meinen eigenen kleinen Blog audisseus.de und bin schlicht mein wohlwollendster Kritiker.

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beyerdynamic: Wie wird man Tester von und für Audioprodukte, wie zum Beispiel Kopfhörern?

Fritz: Zufall, Leidenschaft und vermutlich auch eine Nebenwirkung der von Kindesbeinen aufgesogenen HiFi-Begeisterung. Als Nesthäkchen ließ sich das Aufsaugen der in Dauerrotation laufenden Hard-Rock Schallplatten der älteren Geschwister gar nicht vermeiden.

beyerdynamic: Kopfhörertesten klingt ja erstmal nach einem leichten Job. Muss man da nicht nur ein bisschen Musik hören? Wie machst du das?

Fritz: Das hört sich zwar nach einem Spaziergang an, ist es aber nicht. Man will dem jeweiligen Produkt gerecht werden, muss sich Zeit und Muße nehmen, um sich aller positiven oder vielleicht auch aller negativen Eigenschaften bewusst zu werden. Im Vergleich zu anderen Kopfhörern müssen auch die Unterschiede untereinander herausgearbeitet, sowohl mit anderen Referenzen verglichen und wenn möglich noch von einer anderen Person gegengecheckt werden.

beyerdynamic: Welcher Schritt ist dein Lieblingsschritt beim Testen von Kopfhörern?

Fritz: Das Auspacken, da ist der Schreib- und Termindruck noch am Geringsten. (lacht) Nein im Ernst, am schönsten ist es nach der Einspielphase, wenn sich tatsächlich klanglich noch ein wenig was getan hat und die Playlist wunderbar Spaß macht.

beyerdynamic: Was liebst du am meisten an deinem Job als Tester?

Fritz: Wenn nach einer langen Arbeitsstrecke, ein möglichst unverfärbter und unterhaltsamer Review resultiert. Etwas, das Leser bei Ihrer Entscheidungsfindung unterstützt und gleichzeitig unterhält. Außerdem ist es immer spannend den zum Test passenden Wein oder Sprudel (Crémant etc.) zu eruieren.

beyerdynamic: Gibt es Kopfhörer, die du nach dem Testen gar nicht mehr abnehmen wolltest?

Fritz: Tatsächlich ja, bei einer unterhaltsamen aber auch ernsthaft durchgeführten Untersuchung der Fragestellung „Wie schlagen sich moderne In-Ears im Vergleich zu entsprechend vergleichbaren großen Over-Ear-Modellen“ verblüffte mich ein Kopfhörer nachhaltig. An dem Trauma arbeite ich mich heute noch ab.

beyerdynamic: Darfst du die Produkte nach dem Test behalten?

Fritz: Das wäre zu schön, nein, die Produkte werden in der Regel mit Leihfrist überlassen, teilweise mit juristischen Abhandlungen in Form von befristeten Verträgen und mit Brief und Siegel.

beyerdynamic: Welcher unserer Kopfhörer ist bisher dein Liebling?

Fritz: Der DT 1990 PRO, wenn ich ganz ehrlich bin. Er verbindet eine besondere Dynamik mit konzentrierter Kraft, bietet opulente Räumlichkeit und erlaubt das mühelose Aufspüren feinster Details ohne dabei in technisierte Exegese überzuleiten. Musik behält ihre Seele und Ausdruck, einfache „Nebenhörbeschallung“ ist damit natürlich nicht drin.

beyerdynamic: Wie würdest du beyerdynamic mit drei Worten beschreiben?

Fritz: Traditions- und klangverliebte Forschungsmodernisten.

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