Dolby Atmos – im Studio, zu Hause und unterwegs

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DOLBY ATMOS – IM STUDIO, ZU HAUSE & UNTERWEGS

Im ersten Teil von Dolby Atmos ging es um die technischen Grundlagen des Surround-Sound-Formats. Nun erläutern wir die Anwendung von Dolby Atmos in unterschiedlichen Umgebungen – die Möglichkeiten sind vielseitig, und genau das macht die ganze Sache auch so interessant. Es ist nämlich nicht an eine feste Wiedergabetechnik gebunden, sondern ist diesbezüglich sehr flexibel.

INHALTSVERZEICHNIS

Dolby Atmos zu Hause genießen

Ein richtiges Heimkino mit Dolby Atmos-Wiedergabe einzurichten ist nicht sehr verbreitet, denn es ist kostenintensiv, benötigt viel Platz und viele Lautsprecher. Mindestanforderung ist ein 5.1.2-Setup, aber meistens wird ein 7.1.2- oder 7.1.4-Lautsprecher-Setup installiert. Doch es geht auch anders – zwar mit Qualitätseinbußen, aber dennoch erstaunlich gut, denn die Technik entwickelt sich ständig weiter.

Dolby Atmos zu Hause beyerdynamic

Quelle: Dolby Atmos

Es werden Lautsprecher-Sets speziell für Dolby Atmos-Wiedergabe angeboten, dabei kommen aber weniger Lautsprecher zum Einsatz, als eigentlich nötig. Das Zauberwort hier heißt „Upfiring“. Statt Lautsprecher unter der Decke zu installieren, „feuern“ die vorderen und hinteren Lautsprecher den Schall auch gezielt nach oben, wo der der Schall dann an der Decke reflektiert und so wahrgenommen wird, als würde dort ein Lautsprecher hängen – doch der ist nur virtuell. Natürlich absorbiert eine Zimmerdecke auch Schall, und zwar abhängig von der Frequenz. Das an die Decke als Schall abgestrahlte Signal wird mit Filtern so bearbeitet, dass es für den Hörer realistisch klingt. Um eine aufwändige Verkabelung zu vermeiden, sind die Lautsprecher häufig drahtlos per Funk angebunden – Kabelsalat ade.

Doch die Anzahl der Lautsprecher lässt sich sogar noch weiter reduzieren, denn ein weiteres Zauberwort heißt „Soundbar“. Eine Soundbar befindet sich in der Regel unter dem TV-Display und beinhaltet eine Vielzahl von kleinen Lautsprechern, ein sogenanntes Lautsprecher-Array, die nach vorne, seitlich und auch nach oben ausgerichtet sind. Damit lassen sich dank moderner DSP-Technik nicht nur die vorderen, sondern gegebenenfalls auch die hinteren sowie die Deckenlautsprecher simulieren. Häufig findet man aber auch Soundbars in Kombination mit hinteren Lautsprechern, die dann wieder die hinteren Deckenlautsprecher über Upfiring simulieren.

Die Qualität solcher Systeme hat sich im Verlauf der letzten Jahre deutlich gesteigert und selbst Soundbars ohne zusätzliche externe Lautsprecher erreichen eine erstaunliche Wiedergabequalität. Der Aufwand ist also mittlerweile überschaubar, und somit wird Dolby Atmos früher oder später in immer mehr Wohnzimmern Einzug halten.

Dolby Atmos unterwegs & über Kopfhörer hören

Musik wird inzwischen größtenteils „mobil“ konsumiert, unterwegs in Bus, U-Bahn oder Auto. Und auch im Auto ist Dolby mittlerweile angekommen, denn die ersten Fahrzeughersteller wie Mercedes Benz und BWM bieten bereits Fahrzeuge mit einem Dolby Atmos-Lautsprecher-Setup an.

Doch am häufigsten wird Musik über Kopfhörer gehört – ob mit In-Ears, aufliegender oder ohrumschließender Variante. Auch wenn diese Tatsache bei vielen Musikliebhabern zu Bedauern führt, ist das häufig unbegründet. Inzwischen lässt sich Dolby Atmos nämlich sogar auch über Kopfhörer wiedergeben, immersiv als 3D-Audio. Hier kommt ein weiteres Zauberwort ins Spiel: die „Binauralisierung“.

Wie hören wir?

Um zu erklären, wie Dolby Atmos mittels Binauralisierung über Kopfhörer realisiert wird, müssen wir erst einmal verstehen, wie das Gehör des Menschen überhaupt funktioniert.

Das Wichtigste dabei sagt das Wort „binaural“ bereits selbst aus, es bedeutet nämlich „mit beiden Ohren hören“ – und das ist auch der Schlüssel für unsere räumliche Wahrnehmung von Schallereignissen. Doch der Vorgang des Hörens ist noch deutlich komplexer, denn der über die Ohren aufgenommene Schall wird letztendlich im Gehirn verarbeitet und ausgewertet.

Zur Ortung einer Schallquelle im dreidimensionalen Raum werden vom Gehirn verschiedene Effekte genutzt, darunter auch der empfundene Lautheitsunterschied zwischen rechtem und linkem Ohr. Einfach ausgedrückt: Empfindet man ein Geräusch am linken Ohr lauter, befindet sich auch die Schallquelle links. Zur genauen Ortung der Schallquelle wird dann zudem der Laufzeitunterschied zwischen rechtem und linkem Ohr ausgewertet, so lässt sich neben der Richtung auch der Abstand der Schallquelle bestimmen.

Etwas komplexer wird es für das Gehirn herauszufinden, ob sich eine Schallquelle vor, hinter oder über dir befindet, und dabei auch den genauen Standort zu identifizieren. Dafür führt das Gehirn eine Spektralanalyse des Signals durch. Es gleicht die Frequenzanteile mit Erfahrungswerten ab und wertet auch hier die Unterschiede zwischen rechtem und linkem Ohr aus. Dabei spielt das Außenohr eine wichtige Rolle, denn die Form der Ohrmuschel sorgt dafür, dass Schall von vorne direkt in den Gehörgang geleitet und rückwärtiger Schall abgeschirmt wird. Somit wird Schall gedämpft, der von hinten auf die Ohrmuschel trifft, und es werden weniger Höhenanteile wahrgenommen. Doch neben dem Außenohr, also der Ohrmuschel und dem äußeren Gehörgang, beeinflusst auch der gesamte Kopf- und Schulterbereich sowie der Rumpf die Ortungswahrnehmung. Diese Einflüsse fasst man gesammelt in einem Begriff zusammen, der noch eine tragende Rolle spielen wird: die „Außenohrübertragungsfunktion“, oder kurz HRTF, was für „Head Related Transfer Function“ steht. Diese Funktion beschreibt mathematisch den Einfluss des Kopfs und Oberkörpers auf die Hörwahrnehmung.

Diese komplexen Vorgänge in unserem Gehirn nehmen wir im Einzelnen gar nicht wahr, wir ordnen nur das Ergebnis ein: Eine Schallquelle befindet sich in der Umgebung an einer bestimmten Position. Noch komplexer wird es, wenn das Gehirn mehrere Objekte an unterschiedlichen Positionen im Raum gleichzeitig ortet.

Binauralisierung – Simulation des Gehörs

Und was hat das Ganze nun mit der Wahrnehmung von Dolby Atmos über Kopfhörer zu tun? Letztendlich muss „nur“ das menschliche Gehör über eine Software oder ein Plug-in simuliert werden, um so die Schallobjekte virtuell an einer bestimmten Position wahrzunehmen. Wie ihr euch vorstellen könnt, ist das alles andere als leicht. Doch glücklicherweise werden die Computer- und DSP-Chips in mobilen Geräten immer leistungsfähiger, und so lässt sich dieser Effekt durchaus gut erzeugen.

Simulation des eigenen Gehörs

Alle Menschen sind verschieden. Die Kopfgröße variiert dabei ebenso wie der Abstand der Ohren zueinander oder die individuelle Form der Ohrmuschel, die Schulterproportionen und natürlich vieles mehr. Stellt sich die Frage, warum bei all diesen Unterschieden die Wahrnehmung und Lokalisierung von Objekten dennoch so gut funktioniert. Der Körper macht besonders in jungen Jahren ein Lernprozess durch und setzt dabei die Auswertung der vom Ohr aufgenommenen Signale in Relation zueinander. Wird ein binaurales Audiosignal wahrgenommen, hängt es von den anatomischen Gegebenheiten wie der Form von Ohrmuschel und Kopf ab, wie gut oder schlecht das Signal verarbeitet werden kann. Die Wahrnehmung ist also völlig unterschiedlich, was sich auch in der Ortungsgenauigkeit und Klangqualität niederschlägt.

Eine optimale Simulation bildet genau das eigene Gehör ab. Dafür muss zunächst die HRTF für das eigene Gehör gemessen beziehungsweise generiert werden, danach wird auf dieser Basis die Simulation erstellt. So wird die Ortungsgenauigkeit in der Wahrnehmung erhöht und der Klang wird optimiert.

Die eigene HRTF lässt sich über zwei Verfahren ermitteln: Entweder werden über Miniaturmikrofone im Ohr Testsignale aufgenommen, oder – wesentlich weniger genau – anhand von Fotos und Videoaufnahmen des Kopfes. Mithilfe dieser Daten wird dann ein 3D-Modell des Kopfes erstellt und die HRTF wird berechnet.

Nun müssen die Daten nur noch in die Software oder das Plug-in importiert werden. Dafür wird das standardisierte Dateiformat SOFA verwendet, was für „Spatially Oriented Format for Acoustics“ steht. Wurden die Daten in die entsprechende Software importiert, ist dort quasi ein Abbild deines Gehörs geladen, anhand dessen die Simulation erstellt wird.

Um seine ganz persönliche SOFA-Datei zu erhalten, gibt es verschiedene Möglichkeiten. Das VST-Plug-in AmbiDecoder für die Nuendo DAW-Software von Steinberg wird über eine App verwaltet, mit der sich seine persönliche HRTF importieren lässt. Das Verfahren ist relativ einfach und basiert auf der Symmetrie des Kopfes, es ist also nur ein Foto von einer Kopfseite erforderlich.

Um noch ein präziseres Abbild von seinem Gehör zu erhalten, sind aufwändigere Verfahren notwendig. Der Lautsprecherhersteller Genelec bietet mit der sogenannten „Aural ID“ einen Dienst an, bei dem man verschiedene Fotos vom Kopf und ein Video mit Details der beiden Gehörgänge einreicht, worüber dann die HRTF-Daten anhand eines 3D-Modells berechnet und SOFA-Dateien generiert werden. Diese Dienstleistung ist allerdings kostenpflichtig und auch nicht ganz günstig. Vorteil dabei ist, dass die SOFA-Dateien (jeweils für verschiedene Abtastraten wie 44,1 und 48 kHz etc.) für ganz unterschiedliche Programme genutzt werden können.

Dolby Atmos mit Kopfhörern im Studio

Um beim Thema Kopfhörerwiedergabe zu bleiben, erläutern wir im Folgenden, wie Dolby Atmos oder auch immersiver Sound im Allgemeinen im Studio über Kopfhörer gehört werden kann.

Hier bieten sich verschiedene Lösungen an wie die interne Binauralisierung in der DAW oder universelle VST-Plug-ins, die in den Dolby-Atmos-Master-Monitor-Bus geladen werden und die Binauralisierung beispielsweise eines 7.1.4-Busses in Zweikanal-Binaural übernehmen. Eine Auswahl solcher Plug-ins seht ihr auf der unten stehenden Abbildung: BinauralizerStudio von Noisemaker, Virtuoso von APL und DearVR Monitor des deutschen Herstellers Dear Reality. Um eine Virtualisierung durchführen zu können, ist auch eine Simulation des Raums erforderlich, in dem die Virtualisierung hörbar sein soll. Daher lassen die meisten Plug-ins zur Binauralisierung auch einen virtuellen Abhörraum auswählen.

Natürlich hat auch der Kopfhörer selbst in der Kette Einfluss auf den Klang und somit auch auf die Genauigkeit der Ortung einer virtuellen Schallquelle. Kopfhörer sind Schallwandler, und jeder Kopfhörertyp hat individuelle, klangliche Eigenarten, die zwischen den Kopfhörermodellen sehr unterschiedlich ausfallen können. Daher bieten einige Programme auch an, den Kopfhörertyp auszuwählen, um den Einfluss des Kopfhörers zu kompensieren.

Unser Tipp:

Einige Kopfhörermodelle eignen sich deutlich besser zum Abhören binauraler Audiosignale als andere. Grundsätzlich empfehlen wir akustisch offene Kopfhörer, deren Schallwandler beziehungsweise Membrane sich nicht zu nah am Ohr befinden.

Brauche ich dann überhaupt noch Lautsprecher?

Dank der modernen Binauralisierungs-Möglichkeiten bieten Kopfhörer eine gute Möglichkeit, auch ohne aufwändig eingerichtetes Studio mit vielen Lautsprechern eine Dolby Atmos-Produktionen im Homestudio durchzuführen oder auch mobil an Dolby Atmos-Projekten zu arbeiten. Ihr habt so die Chance, in die Welt des Immersive Audio und Dolby Atmos einzutauchen und eure ersten Erfahrungen zu sammeln. Eine Dolby Atmos Musikproduktion über Kopfhörer zu erstellen, ist durchaus möglich. Die letzten Optimierungen vor einer Veröffentlichung sollte man aber unbedingt in einem Studio mit einem Dolby Atmos-Lautsprecher-Setup mit mindestens 7.1.4-Lautsprechern durchführen. Die Lokalisierung der einzelnen virtuellen Schallquellen ist über ein Lautsprecher-Setup präziser, und auch der Klang ist insgesamt besser und hinterlässt einen realistischeren Eindruck. Ganz ohne Lautsprecher kommt man also im Produktionsprozess – selbst wenn man über seine eigene HRTF als individuelles SOFA-File verfügt – nicht aus.

Wie höre ich als Konsument Musik mit Dolby Atmos?

Dolby Atmos-Musik wird auf Blu-ray angeboten. Viele Verlage wie Sony, Warner, Universal, EDEL oder die Deutsche Grammophon veröffentlichen ihre Titel in Dolby Atmos. Das Angebot ist dabei erstaunlich breit gefächert und reicht von Hip-Hop über EDM bis hin zu Klassik. Aber mittlerweile wird auch auf Streaming-Plattformen wie Apple Music oder Tidal Musik in Dolby Atmos angeboten. Die Auswahl ist hier mittlerweile enorm und es werden in Zukunft auch weitere Streaming-Dienste Musik in Dolby Atmos anbieten. Es wird auch Dienste geben, die sich genau darauf spezialisieren.

Dolby Atmos lässt sich auf Blu-ray oder Streaming-Diensten binaural über Kopfhörer, ein Dolby-Lautsprecher-Setup oder eine Dolby Atmos-fähige Soundbar hören. Es lohnt sich, einfach mal reinzuhören, um die Möglichkeiten von Dolby Atmos selbst zu erleben. Wie Dolby Atmos dann im Studio zum Einsatz kommt, das erfahrt ihr dann im dritten Teil „Dolby Atmos Studio-Setup und Musikproduktion“.

Weiterlesen:

Erfahre, wie du Dolby Atmos in deine Musikproduktion integrierst und in die faszinierende Welt eines immersiven Klangerlebnisses eintauchst. Jetzt Teil 3 lesen.

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