Vinyl-Schallplatte – Ein Musikstück in den Händen halten

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VINYL-SCHALLPLATTE – EIN MUSIKSTÜCK IN DEN HÄNDEN HALTEN

Wenn die Musikbranche über eine Konstante verfügt, dann die des wiederkehrenden Wandels. Was wurde über die Schallplatte nicht alles kolportiert. Von einem todgeweihten Medium war die Rede, nur um seit Jahren ein erstaunliches Revival zu erleben. Was macht die Faszination der analogen Schallplatte aus? Ergreift sie neue Generationen oder haben wir es mit einer kurzen Renaissance zu tun, weil die damit aufgewachsene Generation alte Erinnerungen aufleben lässt? 

Ein beeindruckendes Comeback

Zugegeben, in der Zeit vor den 80er Jahren war die Schallplatte das tonangebende Medium. Die analoge Kopie der Schallplatte auf eine Kassette auch ein Echtzeiterleben, wie man es heute kaum noch kennt. Die Schallplatte übertraf als Leitmedium auch die Erstellung eigener Mixtapes, deren Aufzeichnung via Radio, eben wegen der plötzlich einsetzenden Moderation, zur Herausforderung gerieten.

Girl in front of Recordstore

Wie auch immer, Plattenläden waren ein aufregender Hort des Stöberns, eine Welt voller bunter Plattencover, die alle eine Geschichte zu erzählen versuchten. So manche Platte wurde „blind“ gekauft, einfach weil die künstlerische Gestaltung einem keine andere Wahl ließ.  

Mit dem Siegeszug der Compact Disc, die im Anfang der 80er Jahre als gemeinsames Projekt von Sony und Philips in den Markt gebracht wurde, und sich Anfang der 90er Jahre breit durchsetzte, begann der Stern der Schallplatte zu sinken. Davon kann im Jahr 2020 indes keine Rede mehr sein, denn während die Verkaufszahlen von Tonträgern wie der CD stetig nach unten zeigen, bewegen sich die Schallplattenverkäufe, wenn auch zugegebenermaßen in kleinen Schritten, konstant nach oben.

Schauen wir uns hierzu ein paar Zahlen für das Jahr 2020 an, die vom US-Branchenverband RIAA (Recording Industry Association of America) veröffentlich wurden. Während sich die Umsätze bei Compact Discs im Vergleich zum Vorjahr nahezu halbierten und nur noch 129 Millionen USD in den Büchern standen, stieg der Umsatz von Vinyl um 3,6 Prozent an und lag damit bei bemerkenswerten 232 Millionen USD. Anders ausgedrückt, 10,2 Millionen Compact Discs standen 8,8 Millionen verkauften Schallplatten gegenüber. 

Im bundesweiten Vergleich untermauern aktuelle Zahlen dieses Phänomen nachdrücklich. So steigerten sich die Umsätze im ersten Halbjahr des Jahres 2020 laut dem Bundesverband Musikindustrie, um 4,6 Prozent auf insgesamt 35 Millionen Euro. Interessant erscheint insbesondere hier der Rückblick auf das Jahr 2019, in welchem der Umsatz mit Schallplatten mit insgesamt 79 Millionen Euro ein 10-Jahres-Hoch erreichte. Marktbeobachter gehen davon aus, dass der positive Wachstumstrend weiter anhält. 

Die Gründe für das Vinyl-Comeback sind komplex, vielschichtig und erscheinen stellenweise auch fernab jeder als modern zu interpretierenden Logik. Denn im Vergleich zur digitalen Convenience, die sich durch eine Verfügbarkeit, an jedem Ort und zu jeder Zeit mit hoher Bequemlichkeit auszeichnet, stellt die Wiedergabe via Schallplatte im Grunde das genaue Gegenteil dar. Aber genau hier vollzieht sich für viele ein Sinneswandel, der die Popularität dieses Mediums erklärbar macht. Einem anderen Zeitgeist geschuldet, findet eine entschleunigende Form des Umgangs mit Musik statt. Die bewusste Auseinandersetzung mit dem Künstler und seinem Werk findet so statt und für viele auch ein gänzlich anderer Fokus hinsichtlich der Wiedergabequalität. Einzelaspekte auf die wir im Laufe des Beitrags noch einen Blick werfen wollen. 

beyerdynamic blog Tipp

Während die Vorläufer der heutigen Vinyl-Schallplatte im Jahr 1887 als sog. Schellackplatten des deutsch-amerikanischen Unternehmers, Emil Berliner weltweit Anerkennung fanden, sollte es für die Schallplatte noch bis ins Jahr 1948 dauern. Erfunden wird da nämlich das dem Schellack qualitativ überlegenere Material Polyvinylchlorid (PVC), und zwar von einem Physiker namens Peter Carl Goldmark. So entstand das „Vinyl“ wie wir es heute kennen.

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Während die Vorläufer der heutigen Vinyl-Schallplatte im Jahr 1887 als sog. Schellackplatten des deutsch-amerikanischen Unternehmers, Emil Berliner weltweit Anerkennung fanden, sollte es für die Schallplatte noch bis ins Jahr 1948 dauern. Erfunden wird da nämlich das dem Schellack qualitativ überlegenere Material Polyvinylchlorid (PVC), und zwar von einem Physiker namens Peter Carl Goldmark. So entstand das „Vinyl“ wie wir es heute kennen.

Ein Überleben als Nischen- und Szeneprodukt

Etwa um den Jahrtausendwechsel erlebte das „Vinyl“ sein „schwärzestes“ Jahr und wurde von der Musikindustrie nahezu für tot erklärt. Die Verkaufszahlen vom Compact Discs gingen durch die Decke und mit der Einführung der DVD buhlten für den Musikliebhaber auch spezialisiertere Medien wie die DVD-Audio und die von Sony und Philips als Weiterentwicklung der Silberscheiben erfundene Super-Audio-CD (SACD) um Kunden. Illustrer weise versprachen die hochauflösenden Discs wiederum eine Anlehnung an den warmen, analogen Klang der Schallplatte.

Diese zeigte sich übrigens als Nischenprodukt erstaunlich widerstandsfähig und kaum unterzukriegen. Hardliner hatten den Siegeszug der Compact Disc und deren anschließenden Niederlage gegen das immer vielseitigere Streaming sicherlich im Blick, hätten aber Vinyl als das Medium ihrer Wahl auf gar keinen Fall aufgeben wollen. Wer als DJ im professionellen Bereich etwas von sich hielt, blieb bei Vinyl. Denn hier finden Handwerk und künstlerische Entfaltung in Form des individuellen Mix ihren Ausdruck. Das geht sicherlich auch in digitaler Form, aber gerade die Club-Szene hielt die Vinyl-Produktion durch ihre eigenwillige Haltung sehr lange am Leben.  

Bei der Betrachtung des Vinyl-Comebacks, fällt auf, dass ältere Generationen, damit sehr viele Erinnerungen und somit eine nostalgische Note verbinden, während jüngere Generationen eher eine Entdeckungsreise in die Vergangenheit, aber auch gleichzeitig in die Zukunft darin erblicken. In die Zukunft deswegen, weil das Musikhören mit Schallplatten zwangsläufig den menschlichen Jäger- und Sammlertrieb anspricht. Und auch weil der wachsende Anspruch bei der Wiedergabe an eine Vielzahl von technischen Komponenten gekoppelt ist, deren Qualität den Klang mitbestimmt. 
Viele der sogenannten audiophilen Musikliebhaber haben sich der Schallplatte nie wirklich abgewandt, aber es ist gerade die Altersgruppe ab Mitte bzw. Ende Dreißig und fort folgend, die sich mit ihrer Kaufkraft, sowohl beim Plattenkauf, aber auch bei der Wahl des Plattenspielers, des Phono-Vorverstärkers, des Tonabnehmers und selbst der Verkabelung hervortun.

Die Technik als Erlebnis trotz Unzulänglichkeiten

Das ist Teil der Faszination, die das Hören via Schallplatte ausmachen. Neben den optischen Gegebenheiten, die den Prozess der Musikwiedergabe sichtbar machen und sich allein dadurch bereits von der digital „unsichtbaren“ Wiedergabe unterscheiden, ist es vor allem die als Kontrast empfundene entschleunigende Wirkung der Schallplatte. 

Das beginnt schon beim allwöchentlichen Ritual des Stöberns beim Plattenhändler des Vertrauens, dem Kauf und anschließendem Transport zum heimischen Plattenspieler. Das Auspacken, Reinigen und förmliche Zelebrieren des Nadelauflegens, bis zum Erklingen des ersten Tons. Musik als genussgeprägtes, ganzheitliches Erlebnis, dass sich vom oft als „fast food“, klanglich kühl und seelenlos verschrieenen Digitalklang des Streaming abgrenzt. 

Die Vinyl-Schallplatte ist für einige auch Ausdruck eines besonderes Life-Styles, wenn man so möchte, während andere schlicht und ergreifend die klanglichen Attribute wie ein warmes und ruhig wirkendes Klangbild präferieren.

Dabei ist aus technischer Sicht bei der Schallplatte, nicht alles Gold was glänzt. Denn im Vergleich zu hochaufgelöstem Hi-Res Streaming, hat die Schallplatte nicht nur mit schlechterer Kanaltrennung und ebenso schlechteren Rauschwerten, sondern zusätzlich auch mit Abnutzungserscheinungen, Rumpeln, Gleichlaufschwankungen und Störgeräuschen zu kämpfen. Und auch die Wahl des Tonabnehmersystems, sei es in seiner Güte oder Ausführung (Moving Magnet oder Moving Coil) reißt je Anspruch entsprechend große Löcher ins Budget.

beyer Vinyl

Von einem im Anschluss erfolgenden Phono-Vorverstärker und dem Plattenspieler noch gar nicht gesprochen. Es ist die Summe vieler Kleinigkeiten, die das Schalplatten-Klangbild ausmachen, und vielleicht liegt aber genau hier, in dieser Beschäftigung damit, die Essenz im Unterschied zum gleichförmig „perfekten“ Streaming begründet. Aber auch die Produktion und das Mastering spielen bei der Schallplatte eine entscheidende Rolle und können je nach Ausführung über das als wärmer und natürlicher wirkende Klangbild entscheiden. 

Diese als angenehm empfundene, analoge Wärme im Klangbild wird oft herangeführt. Es ist von einem angenehmen, niemals künstlich oder anstrengend wirkendem Sound die Rede, ja gar von einer weicheren, samtigeren Auflösung bei dennoch hoher Musikalität. 

Das lässt gerne über die Unzulänglichkeiten des Vinyls hinwegsehen, wie beispielsweise die geringer werdende Auflösung je weiter es von der Außen- in Richtung Innenseite geht. Ein damit eingehender Verlust im Höhenspektrum ist nicht von der Hand zu weisen. Mitentscheidend auch die Breite der Rillen, denn je länger die Spieldauer auf einer Seite, desto enger fallen sie aus. Dabei benötigen aber Stereobühnen-Abbildung und Bassanteil aber Platz, so dass eine kurze Spieldauer pro Seite für hohe Qualität und andersherum steht. Und auch von sog. RIAA-Kurve, ohne die eine Aufnahme gar nicht erst in vernünftigem Maße ins Vinyl geschnitten werden kann, denn die Nadel würde sonst, vereinfacht ausgedrückt, selbst Rumba tanzen, noch gar nicht gesprochen. Die in den gängigen Phono-Vorverstärker eingebaute technische Stufe ermöglicht es, die bei der Aufnahme erfolgte Absenkung der Bassanteile sowie Anhebung der Höhenanteile zu egalisieren und entsprechend zu entzerren. 

Der „Vinyl-Klang“ ist aber nicht nur die Summe aus diesen Gegebenheiten, sondern auch das qualitative Ineinandergreifen von Tonabnehmer, Plattenspieler, Phono-Vorverstärker. Das schließt aber nicht aus, dass auch normal bepreiste Komponenten sehr gut klingen, denn auch hier gilt die Regel, die letzten paar Prozentpunkte zum vollendeten Klang erweisen sich als die teuersten. Das gilt aber nicht für die Schallplatten selbst, die ihren materiellen Wert eher aus dem Jahr ihrer Pressung oder eben dem daraus resultierenden Seltenheitswert generieren. Dass das Gewicht der Schallplatte die Qualität der Wiedergabe mitbestimmt, ist übrigens nicht belegt. Schwere Platten bieten keinerlei nennenswerten Mehrwert bei der Abtastung und kämpfen ihrerseits mit Verformungs-Problemen. Aber sie suggerieren substanzielle Wertigkeit und das mag für viele ein entscheidender Faktor sein, der so betrachtet auch seine Berechtigung hat. 

Vinyl Digging – Schallplatten kaufen

Stellte sich noch vor einigen Jahren die Suche nach einer Bezugsquelle für viele als herausfordernde Suche dar, ist der Bezug von Vinyl heuer ein Kinderspiel. Fast jede Neuerscheinung wird von den Plattenfirmen auf Vinyl angeboten. Kleinere Plattenlabels, vor allem aus dem Independent-Bereich wie beispielsweise Drag City, Bleep oder Bloodshot Records vermarkten ihre Künstler auch direkt über ihre Webseiten.

Der liebste Gang, ist der zum Platten-Mann. So in etwa drängt es in den Köpfen all derer, die im Plattenladen direkt nach Neupressungen wie auch nach gebrauchten Platten stöbern und bei einem netten Gespräch oder Espresso auswählen. Wer keine Angst davor hat, dass die empfindlichen Platten auf dem Postweg Schaden erleiden, der bestellt über spezialisierte Händler, wie Jpc oder schlicht Saturn, oder Amazon.

Wer auf der Suche nach Raritäten unterwegs ist, der scheut auch die regionalen und überregionalen Plattenbörsen nicht. Hier haben sich in großen Stil Städte, wie beispielsweise das holländische Utrecht oder auch die größte deutsche Plattenbörse in Essen einen Namen gemacht. Achten sollte man dabei neben dem Preis vor allem auf den Zustand der Plattenhülle, aber auch auf Details wie feine Kratzer oder auch den Geruch (Zigarettenrauch) einer Schallplatte. Der Einsatz einer Plattenwaschmaschine ist bei gebrauchten Schallplatten selbstverständlich, empfiehlt sich aber auch bei Neupressungen.

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